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1. August-Ansprache in Möhlin
Es ist mir natürlich eine grosse Ehre, heute am 1. August da in Möhlin ein paar Worte an Sie richten zu dürfen. Ich werde aber sicher nicht zur grossen patriotischen Rede ausholen, sondern in 1. Linie als Fricktaler zu Fricktaler reden, als Obere zu den Unteren, aber das natürlich nur in geografischer Hinsicht…
Wenn ich aber zurückschaue, und mit Jahrgang 1942 überblicke ich ja bereits einen recht grossen Zeitabschnitt, ist es eher – was oben und unten anbetrifft - anders gewesen: Die oberen Fricktaler haben häufig zu den unteren hinaufgeschaut, sind häufig geistig quasi in Achtungsstellung gegangen, weil die Unteren uns einfach da und dort voraus gewesen sind. Wobei zu den Unteren natürlich auch die Rheinfelder gehören! Aber zur sprichwörtlich gesunden Rivalität zwischen Möhlin und Rheinfelden möchte ich mich nicht weiter äussern, schon gar nicht als Oberfricktaler. Nur so viel: Gesunde Rivalität hat noch niemandem geschadet!
Aber wo sind uns die Möhliner voraus gewesen?
Ein kleines Beispiel aus eigener Erfahrung: In den 60-er Jahren habe ich zu den Gründungsmitglieder des Tennisclub Frick gehört. Wir haben trainiert und trainiert, sind den stolz an die Fricktaler Meisterschaften gegangen, und haben dann grausam auf den Sack bekommen, vor allem von Spieler aus Möhlin. Warum? Die Möhliner haben schon ein paar Jahr früher einen Tennisclub gegründet, haben es einfach besser gekonnt als wir, und ein Super-Könner wie der damals schon fast legendäre Edy Bersaccola ist uns im oberen nicht in Schoss gefallen.
Oder ein anderes Beispiel, nochmals aus dem Sport: Der TV Möhlin – jahrelang in der NL A, eine wahre Freude auch für uns im oberen Fricktal, wo die Handballer auch gespielt haben, aber zwei, drei Ligen weiter unten.
Ja ich mag mich noch gut erinnern, als ich – in einem kleinen Teilzeitpensum – noch Sportreporter vom Schweizer Fernsehen gewesen bin. Mehr als einmal hat mich damals nach Möhlin geschickt, ich bin ja praktisch schon dort gewesen, um über einen Match einen Filmbericht zu machen. Und Namen wie Mahrer Heinz, Hasler, Soder usw. sind mir fast heute noch geläufig. Möhlin ist in den 70- und 80-er Jahren im Handball fast so etwas gewesen wie Ambri-Piotta heute noch im Eishockey.
Dann zur Kultur. Auch da hebt sich Möhlin seit vielen, vielen Jahren durch etwas ab, wo es weit herum nicht gibt. Das legendäre Lehrer-Theater! Gottlob muss man noch nicht Lehrerinnen- und Lehrertheater sagen. Denn müsste man Lehrerinnen- und Lehrertheater sagen, den würde ich wahrscheinlich mit meiner Ansprach überziehen…
Das Möhliner Lehrertheater gehört effektiv zu den kulturellen Highlights vom Fricktal, mit vielen Besucher auch immer aus dem oberen Teil. So bin ich denn mit grosser Neugier ins Internet go surfen, was in diesem Jahr aufgeführt wird. Auf der Homepage vom Lehrertheater bin ich dann fündig geworden. Es hat zuerst allerdings nicht aufhören wollen mit Foto um Foto von der grossen Züglete, von der vertrauten Rösslischüür hinab in die Bata-Halle. Übrigens mein Glückwunsch allen Angehörigen und zugewandten Ort des Lehrertheaters zu dieser reifen Umzugsleistung!
Aber dann bin ich fündig geworden, und habe mich weiss Gott wie gefreut: Ein Stück von meinem deutschsprachigen Lieblingsschriftsteller aus dem 20. Jh., der „Besuch der alten Dame“ von Friedrich Dürrenmatt, steht auf dem Programm. Das wird heuer ganz sicher mein nächster Besuch im Dorf Möhlin sein, und ich freue mich jetzt schon darauf.
A propos Dorf: An sich ist Möhlin jetzt ja eine Stadt, seit mehr als 10‘000 Einwohner da wohnen. Und der Fredy Böni wäre der erste Stadtammann, ob es seinem Nachbarkollegen Franco Mazzi zu Rheinfelden passt oder nicht. Aber der Fredy Böni hat mir schon vor ein paar Wochen gesagt, Möhlin ist und bleibt ein Dorf. Und das ist gut so, sonst müssten wir im oberen Fricktal oben einmal mehr in geistige Achtungsstellung gehen und den Hut vor der Stadt Möhlin. So muss sich der Fredy Böni halt noch ein bisschen gedulden, bis er im globalen Internet-Lexikon Wikipedia zum Stichwort „Möhlin“ in der Rubrik „Berühmte Persönlichkeiten“ als erster Stadtammann wird Aufnahme finden.
Es hat mich natürlich Wunder genommen, wer dort alles verzeichnet ist. Es sind 12 Namen auf der Liste. Angefangen beim Ältesten, Johann Urban Kym, geb. 1805 und Gründer der Saline Ryburg, bis zum Jüngsten, geb. 1988… Ja, wer könnte das sein? Natürlich, der Fussballspieler Ivan Rakitic.
Auch zwei Bischöfe finden sich darunter, christkatholische, die Herren Gerny und Müller; dazu der Industriepionier Max Horlacher und der mehrfach int.-preisgekrönte Gartenbauer Hansruedi Thommen. Und dazu eine einzige Frau: Die Kunstrad-Weltmeisterin Eliane Maggi.
Sie sehen einmal mehr, g.M+M, warum wir im oberen Fricktal mit hohem Respekt auf Möhlin hinunter schauen; und das ist wirklich ernst gemeint!
Aber zurück zur Einwohnermarke 10‘000, wo Möhlin eben überspringen hat. Wahrscheinlich weiss kaum jemand besser als in Möhlin, dass Grösse nicht unbedingt immer das Gelbe vom Ei ist! Sie vermuten, g.M+M, was jetzt kommt. Jawohl, ich habe nach Sport und Kultur zur Politik gewechselt. Da fühle ich mich selbstverständlich besonders verankert, und es interessiert mich effektiv nicht nur die nationale Politik, oder unsere Aussenpolitik, wie z. Bsp. unser Verhältnis zu den Nachbarstaaten oder zur Europäischen Union. Nein, auch das lokale politische Geschehen verfolge ich mit Interesse, nicht zuletzt dann, wenn es besonders heiss zu und her geht…
Und seit wir im Fricktal nur noch eine einzige Zeitung mit mehreren Ausgaben pro Woche haben, bekommen die Oberen auch besser mit, was bei den Unteren vor sich geht, wo sie der Schuh drückt – und hoffentlich auch umgekehrt. Ich weiss übrigens noch gut, wo wir vier Lokalzeitungen im Fricktal gehabt haben, zwei oben, eine katholisch-konservative und eine freisinnige, und zwei unten. Die Zeitungskonzentration hat also auch vor dem Fricktal nicht Halt gemacht. Aber gerade deshalb möchte ich der Verlegerfamilie Herzog in Rheinfelden ganz hohe Anerkennung zollen, dass sie uns Fricktaler noch eine eigene Zeitung bewahrt hat. Das Zeitungsmachen ist im elektronischen Zeitalter bekanntlich nicht mehr besonders lukrativ; und Übernahmeangebote von Grossverleger aus Basel wie auch aus Aarau sind in Rheinfelden auf dem Pult der Familie Herzog gelegen. Aber die NFZ steht heute da, wie ein Fels in der Brandung, seit 150 Jahren und hoffentlich noch viele weitere Jahrzehnte, zur besseren Information vom ganzen Fricktal, gemacht durch Leute aus dem Fricktal. Und das ist – ich möchte fast sagen eine staatspolitische – Klammer, die unsere Region zusammenhält. Und auch das ist gut so.
Aber zurück zur Politik und zu meiner Bemerkung, dass die Grösse nicht immer das Gelbe vom Ei ist. Man könnte zum Stichwort „Grösse“ von der EU reden, von der Euro-Zone oder vom riesigen Schuldenberg, wo dort – fast grössenwahnsinnig - produziert worden ist. Aber ich bleibe, wie am Anfang gesagt, im Fricktal. Und mit Grösse meine ich jetzt das Wachstum, das Wachstum der Bevölkerung eines Dorfes. Da hat uns Möhlin ja kürzlich besonderen Anschauungsunterricht geliefert. Wie gross wollen wir noch werden? Wie schnell soll unser Dorf weiter wachsen. Nochmals eine Verdoppelung der Einwohnerzahl in den nächsten 40, 50 Jahren? Das ist die Ausgangslage gewesen.
Die äusseren Parameter für ein überdurchschnittliches Wachstum sind an sich in Möhlin optimal. Verkehrsmässig sehr gut erschlossen, in Grossstadtnähe, mit vielen Landreserven, viel Sonne, wenig Nebel, Erholungsräume am Rhein usw. Aber das Dorf, die Dorfbevölkerung muss auch wollen. Und diese Diskussion, diese intensive Diskussion, die ist bei Euch in Möhlin aussergewöhnlich gewesen. Das zeugt von echt gelebter direkter Demokratie, wie wir das nur in der Schweiz so haben. Stuttgart 21, die Wirren um das gigantische unterirdische neue Bahnhofprojekt, wäre nie derart ausgerastet, hätte man auch das Stuttgarter Volk rechtzeitig in die Diskussion und die Entscheidung einbezogen. Statt dessen ist es in Baden-Württemberg zu einem politischen Erdrutsch gekommen, um nicht zu sagen zu einem Umsturz, wie wir uns das als direkte Nachbarn nie so vorgestellt hätten.
Nun, es geht mir bei Eurer Einzonungskontroverse und damit bei der Wachstumsstrategie von Möhlin weder um Sieger noch um Verlierer, nicht um die Position des Gemeinderates oder diejenige der Bewegung „Zukunft Möhlin“, nicht um Meinungsdifferenzen zwischen Alteingesessenen, Agrarlandbesitzer und Neuzuzügern, sondern einfach um die wohltuende Feststellung, dass das Volk das letzte Wort haben muss.
In diesem Sinn wird die a.o. Gemeindeversammlung vom 20. Oktober 2010 als historischer Markstein in Eure Dorfgeschichte eingehen. Eine Mehrheit von 860 Bürgerinnen und Bürger ist am Ende einer mehrstündigen Debatte einer Minderheit von 323 gegenüber gestanden. Ich würde wetten, so viele Leute sind nicht einmal beim besten Handballspiel zur besten Zeit vom TV Möhlin je in der Sporthalle Steinli gewesen!
Und diese klare Volksmehrheit hat sich für ein moderateres, nachhaltiges Wachstum entschieden, wesentlich weniger geschwind, als es ursprünglich dem Gemeinderat vorgeschwebt ist. Das ist ohne Wenn und Aber zu respektieren. Als Aussenstehender will ich und kann ich gar nicht mehr dazu sagen ausser: Es lebe die direkte Demokratie! Und wie sie in Möhlin lebt, hat auch die Fortsetzung gezeigt. Man ist zusammen gesessen, an den berühmten runden Tisch. Man hat nach einer gemeinsamen Lösung gesucht, und man hat sie offensichtlich gefunden.
Es lebe die direkte Demokratie! Wie schön, wenn man in seiner Ansprache zum 1. August – auf Grund der Ereignisse in Eurem Dorf – zu diesem Schluss kommen darf. Tragen wir Sorge zu dieser Urform der Demokratie. Sie ist aktueller, moderner und effizienter als alles andere.
Das haben wir vor ein paar Wochen übrigens auch in meiner Wohngemeinde, in Gipf-Oberfrick, so dürfen zur Kenntnis nehmen. Bei uns ist eine heftige Diskussion darüber entbrannt, wie weit obligatorische Blockzeiten auf Primarschulstufe eingeführt werden sollen. Der Gemeinderat und dann auch die Gemeindeversammlung haben sich für eine sehr umfangreiche, aber auch teure Blockzeiten-Regelung entschieden. Eltern, die befürchtet haben, sie sähen ihre Kinder dann über Mittag praktisch nicht mehr, haben das Referendum ergriffen, haben nicht so viel Obligatorium wollen. Eine intensive Debatte ist im Dorf geführt worden. Gewisse Leute hatten sich eine Zeitlang nicht mehr grüezi gesagt. Und am 20. März 2011 ist es dann, bei aussergewöhnlich hoher Stimmbeteilung, zu folgendem Ergebnis gekommen: 469 Ja zu 475 Nein, minime 6 Stimmen haben also den Ausschlag gegeben für weniger Tagesstrukturen und weniger Blockzeiten-Zwang!
Es lebe fürwahr die direkte Demokratie!
Tragen wir Sorge dazu. Ich sage es noch einmal. Sorgen wir dafür, dass auch die künftigen Generationen ihren Willen durch Mehrheitsbeschlüsse durchsetzen können, so wie wir das eben in Möhlin, in Gipf-Oberfrick, und regelmässig auch auf Kantons- oder Bundesebene tun können.
Wir wollen keine Vögte, wo immer diese auch residieren mögen, sei es in Aarau, sei es in Bern oder gar in Brüssel! Wir wollen, in harter, aber möglichst auch fairer Ausmarchung, das Heft in den eigenen Händen behalten, wenn es um die Zukunft unseres Dorfes oder unseres Landes geht.
Das ist mein Wunsch, heute Abend, an Sie, werte M+M…
Und jetzt noch weiterhin ein gefreuter Abend!
Maximilian Reimann, Ständerat, Gipf-Oberfrick